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Europa in der Ära neuer Großmachtrivalitäten – 04/19

Balanceakt

Bericht von Kurt O. Wörl (E-Mail: kurt [at] woerl.eu)

Ein Feuerwerk an hochinteressanten Informationen zündete unser Gastreferent Prof. em. Dr. phil. Gunther Schmid heute vor unseren Pensionären. 91 Kollegen/-innen waren gekommen und lauschten einem Vortrag zum Thema:

Europa in der Ära neuer Großmachtrivalitäten:
Globaler Akteur oder Zuschauer in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts?

 

Mit Prof. Schmid konnte unser Vorsitzender Gerhard Danzl über die Hans-Seidel-Siftung einen überaus kompetenten Fachmann für das geopolitische Weltgeschehen und für internationale Sicherheitspolitik gewinnen. Prof. Schmid arbeitete von 1985 bis Ende 2012 im Bundeskanzleramt, zuständig für Sicherheitspolitik und globale Fragen und damit tätig für die Bundeskanzler Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel.

Zunächst stellte Franz Gebhardt, von der Hans-Seidel-Stiftung, seine Einrichtung vor, welche sich auf dem Gebiet der politischen Bildung betätigt und eben solche Veranstaltungen wie unsere heutige unterstützt und für entsprechend kompetente Referenten sorgt.

Prof. Dr. Gunther Schmid

Als dann Prof. Schmid das Rednerpult übernahm, hing das Auditorium fast eineinhalb Stunden mucksmäuschenstill an seinen Lippen. Er ließ in kurzweiliger, nahezu freier Rede die globalen Zusammenhänge des derzeit unruhigen Weltgeschehens – für uns sehr verständlich – Revue passieren.

Zunächst berichtete er von der 55. Münchner Sicherheitskonferenz (MSK) im Februar d.J., welche heuer so stark besucht gewesen sei wie selten zuvor. 800 Teilnehmer, 700 Presseleute, 200 Sicherheitsbeamte, 80 Außen- und Verteidigungsminister, 50 Regierungschefs, – so groß sei diese Konferenz noch nie gewesen. Inhaltlich und von der Wichtigkeit her, sei die MSK bedeutender als der Weltwirtschaftsgipfel in Davos, weil sich dort nur eine kleine Wirtschaftselite treffe. Er selbst habe zum 31. Mal an der Konferenz teilgenommen. Sein Eindruck sei, das war die härteste, brutalste und auch kontroverseste Tagung bisher gewesen. Es sei auch der offenste Austausch mit völlig gegensätzlichen Positionen gewesen, die er in 31 Jahren erlebt habe. Das Positive sei gewesen, man habe völlig ohne Filter, völlig offen gesprochen.

Besonders beeindruckt habe ihn die Rede von Kanzlerin Angela Merkel, welche aus seiner Sicht ihre beste Rede seit über 20 Jahren gehalten habe. Dabei sei sie kaum vorbereitet gewesen, habe nur einen ganz kleinen DIN-A5-Zettel mit Stichpunkten dabei gehabt. Sie habe, jetzt „nur“ noch als Kanzlerin und nicht mehr als Parteivorsitzende in Verantwortung, wie vom Eis befreit gewirkt, nicht nur in ihrer Rede, sondern auch in ihrer Körpersprache. Eine Rede mit gelöster Handbremse. Zurecht habe sie frenetischen Beifall und Standing Ovations nach ihrer fulminanten Rede von den Tagungsteilnehmern erhalten.


Anmerkung: Diese Einschätzung macht neugierig, deshalb verlinken wir die Rede der Bundeskanzlerin vor der Münchner Sicherheitskonferenz hier:

Und zum Nachlesen der Rede folge man dem folgenden Link:

Rede Angela Merkels zur 55. Münchener Sicherheitskonferenz


Im krassen Gegensatz dazu seien die Reaktionen auf die Rede des US-Vizepräsidenten, Michael Pence eisig ausgefallen. Nur wenige Teilnehmer applaudierten Pence, darunter die Tochter des US-Präsidenten Donald Trump, Ivanka und ihr Ehemann. Pence sei dabei in der Rolle eines evangelikaler Predigers aufgetreten und bewies eine schwarz-weiße Gedankenwelt, die man zusammenfassen kann mit „Entweder ihr seid für uns oder gegen uns. Und wenn ihr gegen uns seid, müssen die USA über die Sinnhaftigkeit der NATO nachdenken“.


Anmerkung: Zum Vergleich hier auch die synchron übersetzte Rede des US-Vizepräsidenten Michael Pence:


Michael Pence habe in seiner Rede 34 mal Donald Trump erwähnt. Die Adressaten seiner Rede seien offensichtlich nicht die Zuhörer im Saal sondern Donald Trump gewesen. Merkel habe den Namen des US-Präsidenten nicht ein einziges Mal erwähnt und dennoch habe jeder im Saal gewusst, wenn sie von ihm sprach. Die Bundeskanzlerin – so Prof. Schmid weiter – habe keinen Zweifel daran gelassen, dass Europa weiterhin auf den multilateralen, demokratischen und liberalen Weg des Konsens angewiesen sei. Wenn man die gesamte Konferenz zusammenfasse, so sei diese von der ersten bis zur letzten Minute, vom Freitag bis zum Tagungsende am Sonntag, von einer Frage beherrscht gewesen:

Wird Europa zum Spielball zwischen den drei Großmächten China, den USA und Russland?

Mit dieser Einstimmung und den Eindrücken von der MSK kam Prof. Schmid zum eigentlichen Thema seines Vortrages. Es stelle sich die Frage, wie positioniert sich Europa in einer Welt, die so völlig anders geworden sei als die, seit der Gründung der Europäischen Union (EU). Könne die EU diese Spielballfunktion alleine reduzieren, wenn die Großmächte so völlig andere Vorstellungen haben? Wolle man diesen folgen, dann würde alles zum Konzert der Großmächte, wo nur noch Großmächte, wie beim Wiener Kongress 1815, über unser aller Schicksal entscheiden. Prof. Schmid wörtlich:

„Wenn ich ein Fazit dieser Konferenz ziehe, dann wären es drei Punkte, die von entscheidender Bedeutung für unser Thema heute sind:

 

Punkt 1: Die liberale, regelbasierte Weltordnung, die wir seit 70 Jahren haben, geht dem Ende zu, also Zerfall und Erosion derselben.

 

Punkt 2: Eine endlose Serie von kleineren und größeren Krisen, die kaum lösbar sind.

 

Punkt 3: Beginn einer neuen, weltpolitischen Ära.

 

Das  ist mir aufgefallen vom ersten Tag an. Wir befinden uns an einer Wegscheide, einer neuen weltpolitischen Ära, die Ära einer neuen, weltpolitischen Großmachtrivalität.“

Weiter führte Prof. Schmid aus, die Großmachtrivalität sei wieder da, die Machtkonkurrenz der Großen sei wieder da und auch nach Ansicht vieler Gesprächspartner werde zunehmend die Auffassung vertreten, die Zeit einer multilateralen Weltordnung sei vorbei, ein für alle Mal. Wir erlebten nun eine neue Zeit, die bestehe aus einer bipolaren Welt. Der eine bipolare Teil seien die Vereinigten Staaten und die Gegenwelt seien wir, China! China sei die „Junior Super Power“. Es sei also die Rückkehr einer bipolaren Welt, nicht wie im Kalten Krieg, zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, sondern diesmal zwischen China und den Vereinigten Staaten.

Klare Botschaft! Zurück zu einer bipolaren Welt, nur ohne Russen. Das sei der entscheidende Punkt. Die Russen spielten bei diesen Überlegungen überhaupt keine Rolle. Und wenn man mit den Delegationsmitglieder gesprochen habe, dann sagen diese „Also Russland…, wenn ein Land 70% seiner Exporte nur auf dem Rohstoff- und Energiesektor vertritt, die sind doch keine globale, ökonomische Macht! Wir, China, sind eine globale, ökonomische Macht! Wir haben Lieferketten nahezu aller Produkte bis nach Europa! Welches russische Produkt ist denn weltweit unterwegs – außer der Kalaschnikow? Es gibt kein einziges Produkt, womit Russland auf dem Weltmarkt punkten könnte. Aber China haben sie in der ganzen Welt. Um es in deutscher Bundesliga-Sprache zu sagen, ‚wir spielen in der Bundesliga‘, wir, China und die USA, da spielen nur zwei, Russland spielt in der dritten oder vierten Liga.“

Die Vereinigten Staaten

Hinsichtlich der Entwicklungen in den USA meinte der Redner, es würde auch nach Donald Trump kein Zurück mehr zu der Zeit vor Barack Obamas führen. Schon Obama habe zu seiner Amtszeit gesagt, die USA müssten eine neue Außenpolitik auf eine neue Grundlage stellen – „Leading from behind“! Also von hinten aus führen. Nur habe man sich damals gefragt, wenn die Amerikaner vom Rücksitz aus führen wollen, um im Bild eines Autos zu bleiben, wer säße denn dann auf dem Fahrersitz und wer auf dem Beifahrersitz? Und wer bedient das Navi? Gäbe es überhaupt ein Navi? Bereits unter Obama habe schon der Rückbau globaler, amerikanischer Positionen begonnen.

Amerika falle also unter Trump als Ordnungsfaktor in der Welt aus. Es war nicht Donald Trump der diesen Ordnungsfaktor weggenommen habe, er habe nur alles noch verstärkt. Das heiße, der Rückzug der amerikanischen Vormacht global setzt sich fort. Auf Deutsch könne man sagen: das Ende des amerikanischen Zeitalters. Das heiße aber nicht, dass die Amerikaner als nationale Weltmacht abdanken wollten. Im Gegenteil! Amerika nähme nur Abschied von der globalen Führungsrolle und der gewachsenen Wertegemeinschaft des Westens und von allen multilateralen Institutionen. In Donald Trumps Worten: Amerikanismus statt Globalismus! Für Donald Trump sei die Welt keine globale Gemeinschaft, sondern eine Arena des gnadenlosen Wettbewerbs, des Kampfes um Vorteile zwischen Nationen und wirtschaftlichen Akteuren. Wir erlebten also derzeit einen Angriff auf die regelbasierte, liberale, multilaterale, globale Ordnung. Donald Trump teste im Moment das politische System, er teste die Demokratie der USA. Die USA in den Händen eines Präsidenten, der die bislang weder politischen Ämter inne hatte, noch ein Mann sei, der zu Kompromissen fähig wäre. Ein Mann, der sein Land so lenken wolle, wie er seine privaten Unternehmen gelenkt habe, von oben nach unten. Und kompromissfähig brauche man als Unternehmer in der Immobilienbranche nicht sein. Da gelte nur die Frage, wer wen über den Tisch zieht. Und dann noch ein Präsident, der ein Problem habe mit Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit, der den Medien eine Kriegserklärung geliefert habe, ein Mann, der scheinbar ignorant zu sein scheine gegenüber allen etablierten Normen der Rationalität, der Verlässlichkeit und der jahrzehntelange Bündnispartner brüskiere.

Was wir nicht wissen sei, ob Donald Trump nur ein kurzer Ausbruch einer historischen Unwucht, ein Ausnahmefall sei oder ob er ein Symptom eines grundsätzlichen Wandels ist, das sei noch nicht absehbar. Nur sollten wir keine Wunschzettel ausfüllen. Auch wenn Trump nicht mehr gewählt werde, werde es kein Zurück mehr geben zum klassischen, transatlantischen Verhältnis.

Nach Prof. Schmids Auffassung sei der große Widersacher der USA nun China. Er prophezeie, dass die Amerikaner künftig 65% oder mehr ihres militärischen Potenzials in die Großrichtung Asien/Pazifik verlegen werden. Dort spiele die Musik! Als Ordnungsfaktor falle also Amerika in der Welt aus.

Amerikanische Beobachter nennen diese Politik, die Trump betreibe, „distrupted politic“, distruptive Politik, Politik als kalkulierter Einsatz von Zerstörungskraft – man könne auch „Abrissbirne“ sagen. Trump wolle den Systembruch zu allen früheren Präsidenten. Alles, was Barack Obama eingefädelt habe, habe Trump eingerissen. Die Amerikaner hätten TTIP verlassen, sie hätten das Transpazifische Abkommen (CPTPP) verlassen, sie seien ausgetreten aus dem Klimaabkommen, sie seien aus der UNESCO ausgetreten, eine der wichtigsten Einrichtung der Vereinten Nationen (Anmerkung der Redaktion: die UNESCO koordiniert Bildung, Wissenschaft und Kultur) und Trump meine auch, es könne mit der NATO nicht so weitergehen.

Angela Merkel habe recht gehabt, als sie meinte, „dieser Mann wird sich nie ändern“. Donald Trump sei derselbe noch wie vor zehn Jahren: gleiche Fäkalsprache, die gleiche sexistische Ausdrucksweise, die gleichen Attitüden wie früher schon. Und alle, die glaubten, er sei eingerahmt von nationalen Entscheidungsträgern um ihn herum, irren. Er habe bereits den vierten Sicherheitsberater gefeuert usw. Er habe um sich herum nur noch absolute Ja-Sager. Ein evangelikaler Außenminister, ein Mann, der die Welt in „gut“ und „böse“ einteile. Die Frage sei, ob man so völlig kompromisslos noch vernünftige Außenpolitik betreiben könne. Von 250 Diplomaten hätten 120 in den ersten beiden Jahren das State Department verlassen. Das heiße, fast die Hälfte der amerikanischen Spitzendiplomaten haben ihren Dienst quittiert. Das stelle die Frage, ob die USA bei internationalen Verhandlungen überhaupt noch arbeitsfähig seien.

Von seinen zehn Wahlversprechen habe Trump bisher nur vier erfüllt. Und was sein großes Problem in den nächsten Monaten sein werde: er könne mit außenpolitischen Erfolgen innenpolitische Versprechen nicht mehr kompensieren. Die Mauer zu Mexiko werde nicht gebaut. Es liefen drei Verfahren gegen den Präsidenten, weil er einen Notstand ausgerufen habe, der keiner sei. Denn nach der Verfassung brauche er für einen Notstand den Congress auf seiner Seite, den er nicht habe.

Das Schlimme sei, 70% der Amerikaner sagen „Klasse! deswegen haben wir ihn gewählt!“ Außerdem kommuniziere er über Twitter direkt mit dem Volk. Er brauche keine Pressekonferenzen, es gäbe auch kaum mehr welche. Er kommuniziere jeden Morgen punkt 5 Uhr „rülpsend“ mit der Bevölkerung direkt. Und 70% der Amerikaner fänden das gut. Trump ist einer, der mit uns spricht und der so spricht wie wir.“

Man müsse also immer unterscheiden: was die amerikanische Wirtschafts- und Außenhandelselite zu Trump sage, sei eine Sache. Was die amerikanische Wahlbevölkerung über Trump sage, sei etwas völlig anderes. So sehr man sich wünsche, dass Trump nicht wiedergewählt wird, abgerechnet werde erst am Schluss. Denn die Demokraten machten im Moment alles falsch, was man falsch machen könne. Bald täglich melde sich ein anderer demokratischer Präsidentschafts-Kandidat mit linksradikalen Vorstellungen: Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 75%. Da könne sich Donald Trump locker zurücklehnen und sagen „Wunderbar, die betreiben mein Geschäft!“. So ziehe Tramp in genialen Veranstaltungen durch das Land und brauche seinen Zuhörer nur verlesen, was die Demokraten äußern: „Schauen Sie sich mal an, was die Demokraten so von sich geben, 75% Spitzensteuersatz und, und und… Wollen sie den Sozialismus in die USA bringen?“ Natürlich nicht! Die Stärke Donald Trumps in den kommenden Monaten werde deshalb die Schwäche der Demokraten sein.

Aber selbst wenn Trump bei den nächsten Wahlen von den Demokraten aus dem Amt gekippt werden könne, würde ein neuer Präsident nicht mehr an die Politik Obamas anknüpfen. Das sei vorbei. Die große liberale, transatlantische Beziehung werde es nicht mehr geben. Soviel zu Trumps Tests der amerikanischen Demokratie.

China und Russland

Zum Test Nummer zwei: Die drei Schlüsselakteure, China, Russland und die USA testen die Belastbarkeit der noch bestehenden, liberalen Weltordnung, nur bei völlig unterschiedlichen macht- und geopolitischen Interessen. Alle drei wollen die Spielregeln zu ihrem eigenen Nutzen ändern. Alle drei wollen weg von dieser multilateralen, liberalen Ordnung hin zu Einflusszonen. Die Russen an ihrer Südgrenze Einflusszone Ukraine, Zentralasien und der Nahe Osten. Die haben Assad den Kopf gerettet. China sagt, im Südchinesischen Meer hätten die Amerikaner nichts verloren, das sei unser Hausmeer. Man wolle also zurück zu Einflusszonen und weg von der multilateralen, liberalen Weltordnung. Das sei auf der Sicherheitskonferenz unmissverständlich deutlich geworden.

Und der dritte Test: China teste seinen globalen Macht- und Gestaltungsperspektiven, auf Augenhöhe mit den USA. Und was immer vergessen werde: China hat parallel dazu auch noch eine offensive Dimension. China versuche sein autoritäres, erfolgreiches Gesellschaftsmodell immer weiter global zu verbreiten. Und was China innenpolitisch versuche, sei einmalig: eine technikbasierte Gesellschaftskontrolle einführen. Eine vollständige Kontrolle der kommunistischen Partei über Staat, Wirtschaft und Bevölkerung, mit allem Mitteln modernster Informationstechnologie. China ist weltweit führend in der Gesichtserkennung. Jeder Chinese habe heute ein „Punktekonto“. Wer bei rot über die Straße gehe, erhalte einen Punkteabzug. Und wenn wir nun glaubten, China katapultiere George Orwell ins 21. Jahrhundert, dann staunen wir, das 70% aller Chinesen dieses „Social Scoring“ gut finden. Sie fänden es gut, weil endlich einmal Ordnung herrsche. Wenn man ein bisschen im chinesischen Internet recherchiere, würde man feststellen, dass die kommunistische Partei – von links bis rechts – erheblich unter Druck stehe. Aber in einem sind sich alle einig: nämlich, dass sie einen starken Staat und eine starke Partei haben wollen. Nur ein starker Staat und eine starke Partei, die alle Machtmittel in der Hand habe, werde mit allen Herausforderungen fertig.

Prof. Schmid meinte weiter, dass China mit dem Projekt der Neuen Seidenstraße das größte geopolitische Investitionsprojekt vorgelegt habe, seit dem Marshallplan 1948. Über 60 Staaten nähmen teil, massiver Einfluss Chinas in Mittel- und in Südost-Europa, mit großen Investitionsvorhaben. China sei der größte Investor in Griechenland. Der Hafen von Piräus sei heute in chinesischer Hand, für 9 Mrd. Dollar. China sei der größte Investor in Ungarn, in Tschechien, in Mazedonien, in Serbien, in Bosnien. Ziel Chinas sei eine globale Technologieführerschaft in den zehn wichtigsten Technologieländern. China sei heute Weltmarktführer bei Solarzellen, bei den Batteriezellen und wolle auch Weltmarktführer werden, bei der Elektromobilität. China gäbe 100mal mehr aus als die Bundesregierung für künstliche Intelligenz. China wolle bis 2035 in allen zukunftsträchtigen Technologien Weltmarktführer und in spätestens zehn Jahren technologischer Selbstversorger sein. Mittels Staatskrediten, Proketionismus und mittels Aufkauf von deutschen und europäischen, mittelständischen Firmen, um das Kwow-how abzusaugen, was man selber brauche. Das heiße: China hat eine Strategie und wir haben keine.

Das habe Folgen auch für Deutschland. Unsere auf Export ausgelegte Wirtschaft stünde unter doppeltem Druck. Auf der einen Seite der neue, massive amerikanische Protektionismus und auf der anderen Seite eine aggressive, chinesische Industriepolitik – und Deutschland in der Mitte. Wir können uns davon nur im europäischen Maßstab davon befreien. Alleine würden wir das nicht schaffen.

Das alles dokumentiere eine historische Zäsur in der internationalen Politik. Wir seien Zeuge einer Achsenverschiebung, das Mächtemuster wird sich dramatisch verändern. Wir erleben einen Kampf zweier Großmächte – China und die Vereinigten Staaten – um die technologische, strategische und damit globale Vorherrschaft im 21. Jahrhundert. Das werde uns die nächsten 30/40 Jahre beschäftigen.

Wir seien aber auch Zeuge eines Wettbewerbs der Systeme. Welches System kann seine Bürger zufriedener stellen: das autoritäre von oben nach unten, das sehr erfolgreich sei oder das pluralistisch-demokratisch liberale?

Europa

Prof. Schmid ging sodann auf die Auswirkungen auf Europa und Deutschland ein. Diese Entwicklung im Wettkampf der Systeme würden demnach Europa und Deutschland unmittelbar betreffen. Wörtlich: „Was heißt das für Europa? Ich will nun mal als großer Europa-Fan etwas Positives dazu sagen. Ich zitier den großen deutschen Historiker, Paul Nolte: ‚ Die europäische Integration ist historisch einer der mächtigsten Prozesse in der globalen Geschichte seit dem 2. Weltkrieg!‘ – Recht hat er, der Kollege Nolte.“

Der europäische Integrationsprozess sei historisch betrachtet der weltweit einzigartige Versuch, die anarchische Struktur des internationalen Systems zu überwinden, durch Gemeinschaft und Supranationalität. Kein geografischer Raum vergleichbarer Größe, außer Nordamerika, habe wie die Europäische Union innerhalb von 60 Jahren ein vergleichbares Wachstumsniveau erreicht, ein gemeinsames Sozialmodell – mit den stark ausgeprägten, individuellen Freiheiten – aufgebaut wie Europa: Menschenrechte, Bürgerrechte, Freizügigkeit. Kein vergleichbarer Raum, habe weltweit derart einzigartige Sozialstandards etabliert wie Europa. Es gäbe keinen vergleichbaren Raum, in welchem so viele Staaten, die früher keine Demokratien waren, zu Demokratien wurden. In der Europäischen Union hätten wir heute 28, bald 27 demokratische Mitglieder. Aus Erbfeinden wurden Freunde – unvorstellbar! Und nun hätten wir seit 70 Jahren einen Prozess, der Krieg zwischen den Mitgliedern eliminiert habe. Niemand könne sich heute einen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland vorstellen. Wenn das keine historische Leistung sei? Prof. Schmid: „Ich bin sehr froh, dass die Europäische Union 2012 den Friedensnobelpreis bekommen hat. Friedensnobelpreis! Die EU, der größte Nichtangriffspakt der Geschichte.“

Wir wüssten heute aus der Erfahrung der Geschichte, dass Demokratien gegeneinander keine Kriege führen, weil die Bevölkerung ja mitbestimmen kann. Europa sei aber nicht nur ein idealistischer Friedenstraum, sondern Europa habe sich deshalb geeint, weil es der europäischen Selbstbehauptung in der Welt diene. Niemand würde heute noch auf die 28 Mitgliedsstaaten einen Pfifferling wetten, wenn sie einzeln in Washington vorstellig würden. In Peking würden sie sich totlachen, wenn die einzelnen Staaten Interessen äußern wollten. Nicht anders, wenn sie am Kreml in Moskau abklopften. Nur wenn die EU, die 28 Staaten, gemeinsam antreten und alle ihr gemeinsames Gewicht in die Waagschale werfen, nur dann könnten sie ihre strategische Interessen wahren. Das heiße: die Wahrung strategischer Interessen der europäischen Staaten gegen viel größere, globale Mächte, durch Teilung der Souveränität, durch die gemeinsame Ausübung kollektiver Macht ist der Daseinszweck der Europäischen Union. Indem die europäischen Staaten gesagt haben, nur wenn wir unser Gewicht auf eine Waagschale werfen haben wir im globalen Wettkampf eine Chance. Das heiße: eine gemeinsame Handelspolitik haben, supranationale Institutionen haben, einen Binnenmarkt mit tragenden Säulen haben. Freier Warenverkehr, freier Kapitalverkehr, freier Dienstleistungsverkehr und freier Personenverkehr – kein anderer weltweit Raum habe solche Freiheiten. Ein Europäisches Parlament, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, eine gemeinsame Währung und, und, und …. und wir haben funktionierende Sanktionsinstrumente. Wladimir Putin habe sich nach der Annexion der Krim geirrt, als er darauf setzte, die EU würde nicht dagegen halten. Die Sanktionen stehen und halten und wurden nicht aufgeweicht. Der Rubel verlor 65% an Wert deswegen. Die Sanktionen haben Russland massiv getroffen. Natürlich werde das Putin nicht veranlassen, die Krim hergeben, aber die Reaktion der Europäer zeigten ihm den Preis, den er bezahlen müsse, wenn er den territorialen Status quo aufkündigt.

Der dritte Zweck der EU sei der Schutz vor Bedrohungen von außen. Die geballte Macht europäischer Institutionen mit der Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand gem. Artikel 42 des EU-Vertrages. Dieser verpflichtet die Mitgliedsstaaten einander zum Beistand, wenn die Staaten angegriffen werden. Die EU habe bewiesen, dass sie die Gültigkeit ihres gemeinsamen Regelwerkes auch durchsetzen kann, wenn Mitgliedsstaaten sich diesem entziehen wollten: im Falle Griechenlands, Irlands, Spaniens, auch bei den Brexit-Verhandlungen gegen Großbritannien. Die Brexit-Verhandlungen seinen abgeschlossen, das Vertragswerk, das mit Theresa May ausgehandelt wurde – zwei Jahre lang, werde nicht wieder aufgeschnürt. Die Briten müssten entscheiden, was sie wollen. Alle Versuche, die Europäische Front aufzubrechen, seien bisher alle gescheitert. Die EU gehe nach dem Chaos in Großbritannien gestärkt aus dem Brexit hervor. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass noch ein Staat wirklich vorhabe, die EU zu verlassen, nach dem Chaos, das die Briten angerichtet haben!“

Deutschland

Prof. Schmid meint, dass der Epochenbruch, den wir derzeit in der internationalen Politik erleben, massiv mit zentralen Fundamenten der deutschen Außenpolitik kollidiere. Der Zerfall dieses kooperativen, liberalen Umfeldes, der regelbasierten internationalen Ordnung, die Rückkehr der Großmachtmentalität, die Änderung des Mächtemusters, betrifft Deutschland mehr als jeden anderen Staat.

Wir müssten wohl wohl zur Kenntnis nehmen, dass zentrale Großmächte – China, Russland und die USA – als wesentliche Bestandteile, die regelbasierte, liberale Weltordnung in Frage stellen und damit internationale Organisationen, multilaterale Regime schwächen und internationale Abmachen gerne missachten. Wir müssten aber auch festhalten, wir reden immer schwärmerisch von einer regelbasierten, liberalen Weltordnung, die es immer noch gäbe, seit 70 Jahren, aber wir hätten diese Weltordnung ein bisschen falsch interpretiert. Für viele Staaten habe die regelbasierte Ordnung aber weder Freiheit noch Regelhaftigkeit gebracht. Viele Akteure außerhalb Europas, außerhalb Amerikas, haben diese regelbasierte, liberale Ordnung als etwas Aufgezwungenes empfunden. In China sage man, es könne ja nicht sein, dass man die Demokratie wie einen Hut über alle Staaten dieser Welt, die völlig anders ticken, einfach überstülpe. Man müsse sagen, das Ende der liberalen Ordnung ist eine Sorge nordamerikanischer und europäischer Eliten.

An ein Nebeneinander verschiedener Ordnungen, an ein Haus, mit mehreren Wohnungen, müssten wir uns wohl gewöhnen. Die liberale Weltordnung war eine, die gut funktioniert hat in Nordamerika, in Randbezirken und in Europa. Aber außerhalb schon nicht mehr. Nicht in Afrika, nicht in Zentralasien und nicht in Südamerika. Der Myhtos der regelbasierten Ordnung sei für uns fundamental gewesen. Er habe die Deutschen in einer Schonzone belassen. Westverträge Adenauer – großer Erfolg, Ostverträge Brandt ohne einen Schuss abzugeben, großer Erfolg, Berlinabkommen und Wiedervereinigung, historische Glücksfälle im Windschatten der Weltpolitik. Aber das wäre nicht die Erfahrung von anderen Erdteilen gewesen. Die liberale, regelbasierte Ordnung sei eher eine Teilordnung, keine Weltordnung. Und Deutschland sei von diesen tektonischen Verschiebungen, diesen Erosionen mehr betroffen als andere Länder. Die deutsche Außenpolitik sei immer angewiesen gewesen auf ein kooperatives, konfliktfreies, liberales Umfeld. Dieses Umfeld gäbe es aber nicht mehr. Wir seien auch deshalb mehr betroffen von diesen Machtverschiebungen als andere, wegen unserer starken Außenhandelsorientierung. Wir exportieren 40% unseres Inlandsproduktes ins Ausland. Fast jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland sei vom Export abhängig. Wenn Donald Trump in vier oder fünf Wochen 25% Zölle auf deutsche Autos verhängte, dann werden wir einen massiven Einbruch in der Automobil-Export-Industrie haben. Durch die starke Außenhandelsorientierung sei Deutschland mehr in die internationalen Lieferketten verflochten, als jeder andere Staat.

Hinzu käme die geopolitische Lage Deutschlands. Wir sind von neun Freunden umzingelt. Ein Land im Zentrum Europas, eine Knautschzone von relativ befreundeten Staaten um uns herum. Wir seien mehr betroffen als als andere Länder, weil unsere auf Ausgleich und Moderation bedachte Außenpolitik als Zivilmacht bisher wunderbar funktioniert habe. Deswegen sei Deutschland mehr als andere auf ein verlässliches, regelbasiertes Umfeld angewiesen. Wir seien um unserer operativen Sicherheits-, Außen- und Wirtschaftspolitik mehr tangiert, weil kein anderes Land energiepolitisch so mit Russland verflochten sei, wie Deutschland. 38% unseres Erdgases bezögen wir aus Russland. Und Russland war auch im Kalten Krieg immer ein verlässlicher Lieferant, schon aus Eigeninteresse. Weil Russland wisse, das 50% seines Staatshaushaltes nur durch diese Erlöse finanziert werden kann. Auch Russland sei auf Gedeih und Verderb von dem vitalen Konstrukt, dass diese Energiepartnerschaft funktioniere, abhängig. Und handelspolitisch seien wir so auf China angewiesen, wie kein anderes Land. Seit 2016 sei China unser größter Handelspartner.

Wir seien auch verteidigungspolitisch so abhängig von den Vereinigten Staaten, wie kein anderes Land. Donald Trump werde im Mai in Brüssel sagen „So, ihr habt auf drei Gipfeln versprochen, euch dem 2%-Ziel zu nähern.“ Sieben Staaten schaffen es von 28. Und nun heiße es, wir werden 1,5% bis 2024 erreichen. Versprochen!“ Das hätte man besser nicht gesagt! Olaf Scholz (Bundesfinanzminister) habe nun verlauten lassen, in der mittelfristigen Finanzplanung blieben nur übrig 1,35%. Donald Trump wird fragen, ob eine NATO für uns Amerikaner noch für einen Sinn ergibt, wenn Versprechungen abgegeben werden, die dann nicht eingehalten würden. Wie solle das der US-Präsident seinen Wählern in Arizona verklickern? Bis zum Ende des Kalten Krieges trugen die USA 50% der Kosten für die NATO. Heute seien es 71% und das könne man den Amerikanern nicht verständlich machen.

Prof. Schmid vermisse seit Jahren eine offene und schonungslose, wenn auch unpopuläre Analyse der Sicherheitslage mit der Fragestellung: Wie sieht die Welt heute aus? Eine realistische Sicherheitsanalyse, welche die Gefahren und die Kosten benenne. Wir hätten dieses Thema weder im Bundestag noch in Wahlkämpfen bislang auch nicht ansatzweise diskutiert. Eine Krise jage die andere: Wirtschaftskrise, Finanzkrise, Euro-Krise, Griechenland-Krise, IS-Krise, Fukushima-Krise, Arabischer-Frühlings-Krise, Flüchtlingskrise, Migrationskrise – eine Krise jage die andere. In einer Welt, die sich so rasant verändere wäre doch die Frage zu klären, wie die Sicherheitslage in Deutschland sei, dringend erforderlich. Welches sind die Gefahren? Welches die Kosten? Man staune, wie von der Regierung mit einer bemerkenswerten Sorglosigkeit diese Analyse immer wieder verschoben werde.

Prof. Gunther Schmids Vortrag vermittelte uns überaus kompetent und kurzweilig sehr viele Informationen zur geopolitischen und internationalen Sicherheitslage, welche auch manch Beunruhigendes enthielten. Die 91 Zuhörer bedankten sich mit großem Applaus dafür und unser Vorsitzender, Gerhard Danzl, sich mit einem kleinen Gastgeschenk beim Referenten.

Foto: pixabay Creative Commons CC0

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